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Als Süßmann Strauß am 15. Juni 1857 die Urkunde des katholischen Pfarrers in Händen hielt, muss er stolz gewesen sein. Er war Kaufmann, 1793 in Geisenheim geboren, verheiratet mit Gertrude Moses aus Oestrich, wohnhaft im Kirchspiel in Geisenheim, und seine zehn jetzt registrierten Nachkommen – zwei weitere sollten noch folgen - schienen eine gesicherte Zukunft für ihn und seine Familie zu garantieren.
Schon sein Vater war gebürtiger Geisenheimer und Handelsmann. Eine ganze Familiendynastie an Kaufleuten war mindestens seit dem 15. Jahrhundert vor Ort nachweisbar. Und so konnte es auch weitergehen: Brüder, Kinder und Kindeskinder, Schwager und Cousins im gleichen oder ähnlichem Metier ausgebildet und tätig, betrieben in der Stadt den Handel mit Vieh, Landesprodukten, Wein, Möbel, Konfektionswaren oder Eisenwaren oder die Metzgerei in der Taunusstraße.
Beziehungen geschäftlicher und familiärer Art gab es nicht nur Rheingau weit oder nach Wiesbaden oder Frankfurt, sondern bis nach Wien, wo Verwandte zu Hochzeiten eingeladen wurden und als Trauzeugen fungierten.
Eine große erfolgreiche Familie, deren Kinder auf dem Rheingau Gymnasium zu Schule gingen, Fußball spielten, im ersten Weltkrieg kämpften, angesehene Juristen oder Weinhändler waren und nicht nur das Geisenheimer Stadtbild mitprägten.
Nicht plötzlich, sondern langsam änderte sich die Stimmung in Stadt und Land für Familie Strauß in Geisenheim, im Rheingau und wo sie sonst noch lebten. Sie waren voll integriert, würde man heute sagen. Sie waren aber anders. Sie waren Juden. Und ihre Religionszugehörigkeit diente als Begründung für Schikane, Ausgrenzung, Enteignung, Vertreibung, Gewalt, Deportation und Tod.
Die Firmen und Geschäfte der Familie Strauß und Ihrer Verwandten wurden ab 1933 boykottiert. Ab November 1938 zerschlug man sie im wörtlichen Sinne: Glas und Scherben, Blut und Gefängnis, Georg Strauß – ein Groß-Neffe von Süßmann Strauß - im Konzentrationslager.
Nach dem Krieg schreibt er:
Ich bin am 25. März 1880 in Geisenheim geboren als Sohn von Abraham Strauss geb. 1. Juli 1823, Sohn des Nathan Strauss geb. 1795 ebenfalls in Geisenheim. Meine Familie existiert schon 500 Jahre am selben Platz nachweisbar seit 1459, welches damals nach dem Arier-Paragraph durch einen Verwandten von mir, Herrn Amtsgerichtsrat Alfredo Strauss in Wiesbaden festgestellt wurde. Ich habe in Geisenheim das Gymnasium besucht, habe aktiv gedient, 2 Übungen mitgemacht und war Kriegsteilnehmer 1914-1918. In den Jahren 40-42 habe ich 9 Familienmitglieder in Auschwitz und Theresienstadt verloren, 4 Geschwister, 1 Schwager, 1 Schwägerin, 2 Nichten und ein Junge von 13 Jahren, Sohn der einen Nichte. Ich denke genug Opfer gebracht zu haben.“
In Geisenheim gibt es niemanden mehr aus der Familie Strauß. Nur die Stolpersteine und der Gedenkstein am Dom erinnern an sie. Sie erinnern an Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Opfer wurden. Opfer von rechter Ideologie, Hass und Hetze, Rassenwahn, Verschwörungstheorien und Gewaltphantasien.
Süßmann Strauß starb bereits 1870. Er ist auf dem jüdischen Friedhof in Oestrich-Winkel bestattet. Viele seiner ermordeten Verwandten und Nachkommen haben kein Grab.
Auf seinem Grabstein sind segnende Priesterhände zu sehen und zu lesen:
Hier ruht
ein redlicher und rechtschaffener Mann, er wandelte
untadelig und war gerecht,
alle seine Tage war er gottesfürchtig
und lebte gerecht in seinem Glauben.
Das ist Elasar, Sohn des Abraham
ha-Kohen, ein Mann (aus) Geisenheim.
Er starb in hohem Alter und satt an Jahren
am Mittwoch, den 17. Schewat [5] 630 n.d.k.Z. (= 19.1.1870).
Autorin: Susanne Göttel-Spaniol, Januar 2024
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